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haostheorien-von Lars Schall: Vergangenen Samstag fand in Berlin eine große Aktions-Konferenz zur Euro-Krise statt. Die Veranstaltung, die den Titel: „Der Euro vor dem Zusammenbruch – Wege aus der Gefahr“ trug, war ein durchaus bemerkenswertes Zusammentreffen gegen ein Gebilde, dem die demokratische Legitimation fehlt. Daher ein kleiner Erlebnisbericht.
„Im Geld bündelt sich alles, was ein Volk ist oder will.“
- Joseph Alois Schumpeter -
Aufgrund des starken Publikumsinteresses, das die Aktionskonferenz seit ihrer Ankündigung hervorrief, wurde ein anderer, größerer Veranstaltungsort als ursprünglich geplant ausgewählt: statt im „Russischen Haus“ in Berlin-Mitte, das zu klein gewesen wäre, sollte die Zusammenkunft der Euro-Skeptiker in der Reinbeckhalle in Berlin-Oberschöneweide stattfinden. Obschon ich mich als ziemlich ortsunkundiger Mensch ein wenig schlau gemacht hatte, wo dieser Stadtteil samt und sonders der besagten Halle zu finden ist, verfuhr ich mich zu früher Morgenstunde zunächst einmal mit der S-Bahn auf recht gründliche Art und Weise. Daher kam ich um einiges verspätet auf dem Konferenzgelände an, das einer jener Industriebrachen glich, wie sie eher typisch für die Gegend sind, in der ich heimisch bin: das Ruhrgebiet.
Einerseits fühlte ich mich somit gleich etwas heimisch, andererseits verwunderte es mich schon, dass man keine einladendere Umgebung gefunden hatte. Das verstärkte sich noch, als ich die Halle selbst erreichte: von draußen erblickte ich eingeschlagene Fensterscheiben und Gekritzel aus der Farbsprühdose, während mich drinnen eine ehemalige Lagerhalle erwartete, die sich unter anderem dadurch auszeichnete, dass von ihren Wänden und Stahlträgern die längst verblichene Farbe blätterte. Kurzum, ich fand mich in einer ausgemachten Bruchbude wieder.
Allerdings dachte ich bei mir, dass man dieses Ambiente freilich auch sinnbildlich für ein währungspolitisches Konstrukt nehmen konnte, das nicht minder heruntergekommen scheint. Sollte das – neben der unbestrittenen Größe der Halle – ein Auswahlkriterium für die Lokalität der Konferenz gewesen sein, so ward hier eine charmante Punktlandung gelungen.
Noch am Eingang stehend, erkannte ich auf dem zentral platzierten Rednerpodium den Staatsrechtler Professor Karl Albrecht Schachtschneider. Da ich tagszuvor den Ablaufplan der Konferenz studiert hatte, konnte die Tatsache, dass Professor Schachtschneider redete, nur bedeuten, dass es mir gelungen war, die Rede von Professor Wilhelm Hankel zu verpassen.
Indem ich mich darüber insgeheim ärgerte und unter den circa 650 zahlenden Konferenzgästen nach einem freien Sitzplatz suchte, tat Professor Schachtschneider, der zweifelsohne zu den wichtigsten Staatsrechtlern Deutschlands zählt, hinsichtlich der von ihm angeführten „Anti-Rettungsschirm-Klage“ kund:
„Wenn es mit rechten Dingen zugeht, wird der Prozess gewonnen.“
Insofern Professor Schachtschneider die Verfassungsklagen gegen die Einführung des Euro (1998), gegen den Lissabon-Vertrag (2009) und gegen die so genannte Griechenland-Hilfe (Mai 2010) führte, dachte ich mir, wird er die Erfolgsaussichten wohl gut einzuschätzen wissen.
Im Laufe seiner Rede wies er des Weiteren einmal mehr auf das grundlegende Demokratiedefizit der EU hin und forderte Volksentscheide bezüglich der Gestaltung der Europäischen Integration. Zur „Rettung“ des Euro stellte er heraus, dass Verträge und geltendes Recht gebrochen worden seien, darunter die Stabilitätskriterien. Die mündliche Anhörung, so sagte er, dürfte im kommenden Frühjahr vor dem Bundesverfassungsgericht stattfinden. Bis dahin würden, wenn sich die Krise wieder verschärft, die Gelder der gegründeten Zweckgesellschaft fließen. Der spät anmutende Zeitpunkt der Anhörung sei ihm im Übrigen ganz recht, da eine Verschärfung der Krise eine günstigere Stimmung für die Klage schaffen würde.
Nach Professor Schachtscheider sprach ein Gründungsmitglied und Abgeordneter der United Kingdom Independent Party (UKIP) im Europaparlament: Nigel Farage. Der Gast aus England, der mit seiner UKIP den Austritt Großbritanniens aus der EU anstrebt (wofür sich immerhin bei den EU-Wahlen 2009 rund 16,5 Prozent der Engländer erwärmen konnten), sprach in einer engagierten Rede „vom Kampf gegen die Errichtung eines EU-Imperiums, dessen Zentrum in Brüssel liegt.“ Dieses Projekt eines EU-Imperiums sei zum Scheitern verurteilt, ließ Herr Farage seine Zuhörer wissen, indem er rekapitulierte:
„Das Studium der Geschichte zeigt, dass große, multi-nationale Imperien oder politische Zusammenschlüsse nicht gelingen. Sie funktionieren nicht richtig und außerdem überleben sie nicht. Wo ist denn heute das Römische Imperium, das Osmanische Reich, Österreich-Ungarn? Sie sind alle abgetan, ihre ehemals stolzen Monumente sind vom Sand der Zeit bedeckt.“
Auch erinnerte Herr Farage an das Wort von Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl, der bekanntlich meint, dass es beim Schicksal des Euro um Leben und Tod ginge. Dem Kohl’schen Diktum, dass „die Europäische Einigung eine Frage von Krieg und Frieden … und der Euro Teil unserer Garantie für Frieden“ sei, widersprach Herr Farage entschieden.
Als er seine Rede unter kräftigem Applaus beendet hatte, näherte ich mich ihm mit den Notizen, die ich mir unterdessen aufgeschrieben hatte, und fragte, ob er mir für die Beantwortung von ein paar Fragen zur Verfügung stünde. Herr Farage, der im persönlichen Umgang, wie ich noch öfter an diesem Tag feststellen durfte, ein extrem sympathischer Zeitgenosse ist, sagte sofort zu.
Wir zogen uns in eine Nebenhalle zurück, weil es dort etwas leiser zuging, und führten schließlich umgeben von aufgehäuftem Schutt dieses kurze Interview.
„Warum sind Sie heute hier?“
Nigel Farage:
„Nun, ich wurde eingeladen, das ist immer ein guter Grund, irgendwohin zu gehen. Nein, ich bin hier, weil ich fasziniert bin von dem Gerichtsfall, den die Professoren angestrengt haben. Ich hatte ebenso seit zehn Jahren das Gefühl, dass es an der Zeit war, dass es eine Stimme in Deutschland geben müsse. Wie kann es sein, dass Pro-Demokratie-Bewegungen in jedem Land der Europäischen Union aufkeimen, ausgenommen von Deutschland?
Ich habe immer gehofft, gewartet und gebetet, dass das in Deutschland beginnen würde. Darum sah ich es als gute Gelegenheit an, vorbeizukommen und zu sagen: Schaut her, ich weiß, es scheint höhnisch zu sein, eine neue politische Bewegung in Gang zu setzen – aber hey: wenn wir das in England können, dann könnt Ihr das gewiss auch hier tun.“
„Sie sagten, dass Helmut Kohl falsch mit seiner Bemerkung liegt, dass die Europäische Union und der Euro eine Frage von Krieg und Frieden seien.“
Nigel Farage:
„Ja. Ich meine, sehen Sie: die Analyse, mit der Leute wie Kohl ankamen, ist die, dass die Existenz von Nationalstaaten Krieg verursacht, und dass uns daher, wenn wir die Nationalstaaten abschaffen würden, Frieden gegeben sei. Das ist die ganze Grundlage, auf der Kohl an das europäische Projekt glaubte. Ich weiß, er war ehrlich in diesem Glauben. Der Preis, den er dafür zu zahlen bereit war, bestand darin, die Demokratie und nationale Identität zu opfern.
Bisweilen ist es im Leben so, dass die Ursachen und Wirkungen dessen, was man macht, das Gegenteil von dem hervorbringen können, das man beabsichtigte. Meine Behauptung ist, wie ich vielleicht in der Rede etwas kontrovers darlegte, dass wenn man sich Jugoslawien anschaut, dass dies angeblich das Rezept war, um kleine Staaten davon abzuhalten, einander zu bekämpfen – und doch hat es in Wirklichkeit zu einem schrecklichen – und in mancherlei Beziehung noch immer anhaltenden – Krieg geführt.
Mir will scheinen, dass es für Kohl und andere besser gewesen wäre, für die Aufrechterhaltung stabiler Demokratien zu kämpfen, denn die Geschichte zeigt uns, dass stabile Demokratien nicht miteinander in den Krieg ziehen. Das ist schwer verdauliches Zeug, aber es ist wichtig.“
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