23.05.2008 Artikel senden | Drucken Hundert Explosionen auf dem Mond
Andreas von Rétyi
Die karge Oberfläche unseres Erdbegleiters gilt als völlig starre, unveränderliche Landschaft. Nur Spiele von Licht und Schatten zaubern mit dem Wandel der Mondphasen abwechslungsreiche Bilder von Kratern, Rillen und Gebirgszügen auf diese fremde Welt. Dennoch meldeten sich wiederholt Beobachter zu Wort und behaupteten, ungewöhnliche »Lichter« dort oben gesehen zu haben. Lange wurden diese Sichtungen nicht ernst genommen, doch nun ist es amtlich – es gibt sie wirklich, die mysteriösen Leuchterscheinungen auf dem Mond.
Seit Jahrhunderten berichten Augenzeugen über unerklärliche Lichtblitze auf dem Mond. Unter diesen Beobachtern befinden sich so berühmte Astronomen wie Wilhelm Herschel und E. E. Barnard. Doch die meisten ihrer Fachkollegen blieben sehr zurückhaltend, wenn es um jenes Phänomen ging, einige sprachen sogar von schlichten Hirngespinsten und Täuschungen. Bereits vor rund einem halben Jahrhundert sollten sie eigentlich eines Besseren belehrt worden sein. 1956 nämlich fotografierte der Astronom Dinsmore Alter das deutlich aufgehellte Innere von Mondkrater Alphonsus, einer gewaltigen Einschlagmulde von rund 120 Kilometer Durchmesser, die nahe dem Mittelpunkt der uns zugewandten Mondhalbkugel zu finden ist. Zwei Jahre später gelang dann Nikolai A. Kozyrew am Krim-Observatorium eine weitere Beobachtung im gleichen Krater. Er konnte sogar ein Spektrum des seltsamen Lichts aufnehmen. Immer noch blieben einige Fachleute skeptisch. Was denn sollte dort oben sichtbare Strahlung aussenden? Woher sollte das Leuchten stammen?
Eigentlich gibt es eine breite Palette an Erklärungen, angefangen bei Meteoritenabstürzen über lunare Restentgasungen bis hin zu UFO-Aktivitäten. An der Frage nach Sinn und Unsinn der einzelnen Erklärungen schieden sich die Geister. Nach über 1.000 registrierten Sichtungen aber sollte niemand mehr an der Existenz der temporären Leuchterscheinungen zweifeln. Immerhin fanden sie dann auch als Transient Lunar Phenomena (TLPs, vorübergehende Mond-Phänomene) Eingang in die astronomische Literatur.
Zu den berühmtesten Mond-Ereignissen zählt eine Sichtung aus dem 12. Jahrhundert. Mönche des Klosters von Canterbury zeichneten genau auf, was sie an einem Juni-Abend des Jahres 1178 wahrnahmen. In der Chronik des Gervase of Canterbury finden wir folgende beeindruckende Schilderung: »Es war kurz nach Neumond, die Sichelspitzen waren, wie immer in dieser Phase, nach Osten gewandt; plötzlich teilte sich das obere Horn des Mondes in zwei Hälften. Aus der Mitte dieser Teilung schoss eine brennende Fackel empor, welche Flammen, glühende Kohlen und Funken weit hinausspie … Der Mond zuckte wie eine verwundete Schlange … Dann, nach diesen Verwandlungen, nahm er, von Horn zu Horn, also über seine ganze Länge hinweg, eine schwärzliche Färbung an.«
Was konnte sich damals auf dem sonst so stillen Mond zugetragen haben? Einigen Astronomen ließ jener mittelalterliche Bericht selbstverständlich keine Ruhe mehr. Eine genaue Analyse des Einschlagsortes führte den amerikanischen Astronomen Jack B. Hartung zum Strahlenkrater Giordano Bruno – allein schon dem Erscheinungsbild nach eine außerordentlich junge Formation. Hartung ging davon aus, die Mönche von Canterbury hätten die Entstehung dieses Kraters live miterlebt, als ein recht großer kosmischer Körper mit dem Mond kollidierte. Später erklärten andere Astronomen das Phänomen auf eine etwas nüchternere Weise. Ein heller Meteor sei damals einfach in der Lufthülle unserer Erde zerplatzt, wobei seine Bahn von Canterbury aus gesehen ganz zufällig und rein durch den gleichen Blickwinkel begründbar den in weiter Ferne stehenden Mond streifte. Demnach sah es nur so aus, als ob der Feuerball ihn traf, während der relativ kleine kosmische Körper lediglich in unserer Atmosphäre einen nachleuchtenden Lichtblitz mit Rauchfahne auslöste, die den Mond »wie eine verwundete Schlange« zucken ließ und dann gänzlich verdunkelte. Welche Erklärung für das Canterbury-Ereignis wirklich zutrifft, wird sich kaum mehr mit Sicherheit nachweisen lassen. Doch zeigt der Vorfall, wie schwierig eine Interpretation sein kann.
Für die immer wieder beobachteten Mondlichter aber können nicht wiederholt zerplatzende Meteore verantwortlich sein. Auch Forscher sind sich mittlerweile sicher, dass die Lichter ihren Ursprung tatsächlich auf der Mondoberfläche haben. Wahrscheinlich gibt es dabei sogar mehrere unterschiedliche Entstehungsursachen – diskutiert wurden Mondbeben, Gasaustritte mit anschließender Fluoreszenz, Hitzeschocks, Einflüsse der Sonnenaktivität, Gezeitenkräfte und andere physikalisch-chemische Prozesse. Vor allem nahe liegend: Meteoritentreffer.
Unser Erde-Mond-System befindet sich seit undenklichen Zeiten in der Schusslinie kosmischer Munition. Die größten Trümmer aus der Bauphase des Sonnensystems stürzten vor knapp vier Milliarden Jahren in die noch jungen Krusten der Planeten und rissen dabei immer wieder tiefe Wunden. Auf dem Mond entstanden auf diese Weise die gewaltigen Überflutungsregionen, die als dunkle Mare-Gebiete schon mit bloßem Auge gut zu erkennen sind und unserem Trabanten sein charakteristisches Aussehen verleihen. Etwas kleinere Geschosse sorgten dann für die kraterübersäten Terrae-Gebiete, jene hellen Hochländer des Mondes. Das berühmt-berüchtigte große Bombardement ist glücklicherweise längst vorbei, doch auch heute noch wird der Mond genau wie unser Planet ständig von kosmischer Materie getroffen, meist relativ kleine Körper. Wenn am klaren Nachthimmel eine Sternschnuppe aufleuchtet, verglüht ein Staubkorn aus dem Weltraum. Nur von größeren Meteoren – Feuerbällen oder Boliden – bleibt nach dem heißen Sturz durch die Lufthülle noch Material übrig und geht als Meteorit nieder. Unsere Atmosphäre schützt uns zumindest vor kleineren Treffern wirksam. Und auch eisige Kometenbruchstücke werden von ihr meist völlig evaporiert; selbst viele Meter große Fragmente lösen sich so auf. Anderes Geröll aus dem All ist stabiler konstruiert und hält bis zum Erdboden durch. So durchschlagen ab und zu einzelne Meteorite tatsächlich auch Hausdächer, prallen auf Autos oder sogar Lebewesen. Auf dem Mond aber erreicht jedes noch so kleine Stäubchen ungebremst die Oberfläche. Denn nachweislich existiert hier keine Atmosphäre. Ebenso unbehelligt rasen auch größere Absplitterungen von Kometenmaterie auf den Mond herab, schmettern mit der Geschwindigkeit eines Projektils in den Boden und verwandeln ihre enorme Bewegungsenergie wahrhaft schlagartig in Hitze. So können sie auch in Abwesenheit einer Sauerstoff-Atmosphäre explosionsartig in einem Lichtblitz aufgehen.
Seit rund zweieinhalb Jahren überwachen NASA-Astronomen in einem automatisierten Beobachtungsprogramm den Mond, um genau solche Ereignisse zu registrieren. Der Erfolg stellte sich überraschend schnell ein. Rob Suggs vom Marshall Space Flight Center (MSFC) der NASA erinnert sich voller Begeisterung: »Wir entdeckten beinahe sofort einen Blitz. Ich werde diese erste Entdeckung nie vergessen«. Die Sichtung gelang am 7. November 2005, als ein nur fußballgroßes Bruchstück des Kometen Encke im Mare Imbrium niederging. Das Ereignis war im 10-Zoll-Newton-Teleskop des Teams sehr deutlich zu erkennen. Seit jenem Tag konnten die Astronomen nunmehr über hundert solcher Lichtblitze aufzeichnen. Und kaum jemand wird wohl seitdem noch riskieren, jene ersten Beobachter lunarer Flares als verrückt zu titulieren.
Die Einschlagsereignisse sind nicht gleichmäßig über das Jahr verteilt. Vor allem, wenn der Mond im Gefolge unserer Erde alljährlich durch bestimmte Bahnen kometarischer Meteorströme zieht, blitzt es immer wieder mal. Dann kann die Frequenz sogar auf einen Blitz pro Stunde ansteigen. Kaum zu glauben, aber wahr. Doch auch außerhalb dieser Zeiten verzeichnen die Astronomen immer wieder Treffer, so erklärt Projektleiter Bill Cooke. Denn immer noch schwirrt genügend »Kleinkram« zwischen den Planeten herum, um diese sporadischen Kollisionen auszulösen. Über das ganze Jahre verteilt, übertreffen diese vereinzelten Treffer die Zahl der von Meteorschauern ausgelösten sogar um das Zweifache. Cooke betont: »Das ist ein wichtiges Ergebnis. Denn es bedeutet, dass unser Mond zu keiner Zeit des Jahres völlig einschlagsfrei ist.«
Die Gruppe um Cooke begann ihre Arbeit zu der Zeit, als im US-Raumfahrtprogramm von einer Rückkehr zum Mond die Rede war. Astronauten sind zwar lediglich einer vernachlässigbaren Gefahr ausgesetzt, von einem Meteoriten auf dem Mond erschlagen zu werden, doch in Anbetracht der Pläne, größere Strukturen dort zu errichten, sprich: eine permanente Basis, besteht durchaus eine reale Bedrohung. Zudem ist noch nicht ausreichend geklärt, in welchem Umkreis sich Sekundärimpakte auswirken können. Wenn ein Kometenfragment den Mond mit extrem hoher Geschwindigkeit trifft, schleudert es Materie des Mondbodens radial nach außen. Unzählige kleinere Teilchen werden dabei ebenfalls mit sehr hohem Tempo in alle Himmelsrichtungen geschossen und kommen in unterschiedlichen Entfernungen auf. »Sekundär-Teilchen von weniger als einem Millimeter Durchmesser können dabei einen Raumanzug zerreißen«, warnt Cooke.
Um mehr über die Einschläge und ihre Begleiterscheinungen zu erfahren, simulieren die NASA-Forscher lunare Impaktereignisse mit der Hochgeschwindigkeitskanone des Ames Research Center / Vertical Gun Range in Mountain View, Kalifornien. Und um die Einschläge selbst möglichst effektiv beobachten zu können, stehen mittlerweile weitere Teleskope zur Verfügung. Bleibt anzumerken, dass wohl nicht alle Mondblitze die gleiche Entstehungsursache haben. Vergleicht man nämlich eine Karte der bisher registrierten, rund hundert Meteoritenimpakte mit einer Karte der legendären Transient Lunar Phenomena, zeigt sich kaum eine bemerkenswerte Übereinstimmung. Die TLPs, wie sie außerhalb des von Cooke und Kollegen betriebenen Automated Lunar and Meteor Observatory (ALaMO) beobachtet wurden, sind sogar wesentlich anders über die Mondoberfläche verteilt. Dies scheint auch für eine alternative Entstehungsursache zu sprechen, ebenso wie wiederholtes Auftreten von Lichtern im gleichen Mondkrater. Hier gibt es regelrechte Vorzugsregionen. Eine interessante, doch bis heute unerklärliche Beobachtung machte bereits vor vielen Jahren der russische Radioastronom Alexeji Arkhipov vom Tomsker Forschungsinstitut für Anomale Phänome (Research Institute on Anomalous Phenomena, RIAP). Er stellte fest, dass zu Zeiten der bemannten Mondlandungen des Apollo-Programms stets unmittelbar vor einer Landung eine deutlich erhöhte Zahl von TLPs gesichtet wurde. Zunächst scheint dies leicht erklärbar. Denn zweifellos richtete zu den so besonderen Terminen einfach eine größere Beobachterzahl – ob nun Profis oder Amateure – ihre Teleskope zum Mond. Doch die Fachastronomie sah im Allgemeinen überhaupt keinen Anlass zu weiteren Mondbeobachtungen, einmal ganz abgesehen von ohnehin fest verplanter Teleskopzeit, und die TLP-Sichtungen der Amateure betrafen interessanterweise völlig andere Mondregionen, keinesfalls das Umfeld der Apollo-Landeplätze. Damit fällt auch jene so schöne Erklärung flach.
Dr. Arkhipov stellt jedoch seinerseits fest, dass der Anstieg der TLP-Sichtungen oberhalb jeden statistischen Rauschens liegt, ihm also ein realer Effekt zugrunde liegen muss. Er selbst gelangt zu einer bemerkenswerten Schlussfolgerung und spricht vom »Invasions-Effekt«. Der Radioastronom hält zumindest für denkbar, dass eine nichtirdische Intelligenz auf dem Mond stationiert ist und die von ihr errichteten Strukturen durch künstliche Impaktereignisse kurzzeitig in Gas-Staub-Wolken hüllt, frei nach dem Prinzip, durch Auffälligkeit unauffällig zu werden. Allerdings stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit eines solchen Verfahrens und ob eine zu Interstellarflug fähige Zivilisation nicht zu anderen Methoden der Tarnung greifen würde. Ganz unbeachtet sollte jedoch das Thema nicht bleiben. Dr. Arkhipov befindet sich mit seinen Vermutungen jedenfalls in durchaus guter Gesellschaft, denn schon der berühmte, 1996 verstorbene SETI-Forscher Michael D. Papagiannis erklärte vor Jahren: »Wir würden für künftige Generationen eher dumm aussehen, suchten wir fortwährend bei fremden Sternen, während die Antwort direkt hier, in unserem Sonnensystem zu finden wäre.« Papagiannis relativiert somit Sinn und Nutzen der konventionellen SETI und verweist auf die Möglichkeit, dass eine Fremdintelligenz schon seit sehr langer Zeit beispielsweise im Asteroidengürtel stationiert sein könnte, ohne uns dabei aufzufallen. Sie könnte dort kilometergroße Stationen betreiben, die wir von natürlichen Kleinplaneten nicht unterscheiden könnten, so lange sie brav auf Keplerbahnen kreisten und ein typisches Reflexionsspektrum aufwiesen.
Wie auch immer die Realität aussehen mag, die neuen NASA-Beobachtungen belegen jedenfalls eindeutig: Auch die rätselhaften und lange umstrittenen Mondlichter sind reale Erscheinungen. Wieder einmal hat sich herausgestellt, dass frühere Beobachter weder halluziniert noch die Unwahrheit gesagt haben, als sie von ihren ungewöhnlichen Sichtungen berichteten und dafür meist nur Spott ernteten.
Andreas von Rétyi
Die karge Oberfläche unseres Erdbegleiters gilt als völlig starre, unveränderliche Landschaft. Nur Spiele von Licht und Schatten zaubern mit dem Wandel der Mondphasen abwechslungsreiche Bilder von Kratern, Rillen und Gebirgszügen auf diese fremde Welt. Dennoch meldeten sich wiederholt Beobachter zu Wort und behaupteten, ungewöhnliche »Lichter« dort oben gesehen zu haben. Lange wurden diese Sichtungen nicht ernst genommen, doch nun ist es amtlich – es gibt sie wirklich, die mysteriösen Leuchterscheinungen auf dem Mond.
Seit Jahrhunderten berichten Augenzeugen über unerklärliche Lichtblitze auf dem Mond. Unter diesen Beobachtern befinden sich so berühmte Astronomen wie Wilhelm Herschel und E. E. Barnard. Doch die meisten ihrer Fachkollegen blieben sehr zurückhaltend, wenn es um jenes Phänomen ging, einige sprachen sogar von schlichten Hirngespinsten und Täuschungen. Bereits vor rund einem halben Jahrhundert sollten sie eigentlich eines Besseren belehrt worden sein. 1956 nämlich fotografierte der Astronom Dinsmore Alter das deutlich aufgehellte Innere von Mondkrater Alphonsus, einer gewaltigen Einschlagmulde von rund 120 Kilometer Durchmesser, die nahe dem Mittelpunkt der uns zugewandten Mondhalbkugel zu finden ist. Zwei Jahre später gelang dann Nikolai A. Kozyrew am Krim-Observatorium eine weitere Beobachtung im gleichen Krater. Er konnte sogar ein Spektrum des seltsamen Lichts aufnehmen. Immer noch blieben einige Fachleute skeptisch. Was denn sollte dort oben sichtbare Strahlung aussenden? Woher sollte das Leuchten stammen?
Eigentlich gibt es eine breite Palette an Erklärungen, angefangen bei Meteoritenabstürzen über lunare Restentgasungen bis hin zu UFO-Aktivitäten. An der Frage nach Sinn und Unsinn der einzelnen Erklärungen schieden sich die Geister. Nach über 1.000 registrierten Sichtungen aber sollte niemand mehr an der Existenz der temporären Leuchterscheinungen zweifeln. Immerhin fanden sie dann auch als Transient Lunar Phenomena (TLPs, vorübergehende Mond-Phänomene) Eingang in die astronomische Literatur.
Zu den berühmtesten Mond-Ereignissen zählt eine Sichtung aus dem 12. Jahrhundert. Mönche des Klosters von Canterbury zeichneten genau auf, was sie an einem Juni-Abend des Jahres 1178 wahrnahmen. In der Chronik des Gervase of Canterbury finden wir folgende beeindruckende Schilderung: »Es war kurz nach Neumond, die Sichelspitzen waren, wie immer in dieser Phase, nach Osten gewandt; plötzlich teilte sich das obere Horn des Mondes in zwei Hälften. Aus der Mitte dieser Teilung schoss eine brennende Fackel empor, welche Flammen, glühende Kohlen und Funken weit hinausspie … Der Mond zuckte wie eine verwundete Schlange … Dann, nach diesen Verwandlungen, nahm er, von Horn zu Horn, also über seine ganze Länge hinweg, eine schwärzliche Färbung an.«
Was konnte sich damals auf dem sonst so stillen Mond zugetragen haben? Einigen Astronomen ließ jener mittelalterliche Bericht selbstverständlich keine Ruhe mehr. Eine genaue Analyse des Einschlagsortes führte den amerikanischen Astronomen Jack B. Hartung zum Strahlenkrater Giordano Bruno – allein schon dem Erscheinungsbild nach eine außerordentlich junge Formation. Hartung ging davon aus, die Mönche von Canterbury hätten die Entstehung dieses Kraters live miterlebt, als ein recht großer kosmischer Körper mit dem Mond kollidierte. Später erklärten andere Astronomen das Phänomen auf eine etwas nüchternere Weise. Ein heller Meteor sei damals einfach in der Lufthülle unserer Erde zerplatzt, wobei seine Bahn von Canterbury aus gesehen ganz zufällig und rein durch den gleichen Blickwinkel begründbar den in weiter Ferne stehenden Mond streifte. Demnach sah es nur so aus, als ob der Feuerball ihn traf, während der relativ kleine kosmische Körper lediglich in unserer Atmosphäre einen nachleuchtenden Lichtblitz mit Rauchfahne auslöste, die den Mond »wie eine verwundete Schlange« zucken ließ und dann gänzlich verdunkelte. Welche Erklärung für das Canterbury-Ereignis wirklich zutrifft, wird sich kaum mehr mit Sicherheit nachweisen lassen. Doch zeigt der Vorfall, wie schwierig eine Interpretation sein kann.
Für die immer wieder beobachteten Mondlichter aber können nicht wiederholt zerplatzende Meteore verantwortlich sein. Auch Forscher sind sich mittlerweile sicher, dass die Lichter ihren Ursprung tatsächlich auf der Mondoberfläche haben. Wahrscheinlich gibt es dabei sogar mehrere unterschiedliche Entstehungsursachen – diskutiert wurden Mondbeben, Gasaustritte mit anschließender Fluoreszenz, Hitzeschocks, Einflüsse der Sonnenaktivität, Gezeitenkräfte und andere physikalisch-chemische Prozesse. Vor allem nahe liegend: Meteoritentreffer.
Unser Erde-Mond-System befindet sich seit undenklichen Zeiten in der Schusslinie kosmischer Munition. Die größten Trümmer aus der Bauphase des Sonnensystems stürzten vor knapp vier Milliarden Jahren in die noch jungen Krusten der Planeten und rissen dabei immer wieder tiefe Wunden. Auf dem Mond entstanden auf diese Weise die gewaltigen Überflutungsregionen, die als dunkle Mare-Gebiete schon mit bloßem Auge gut zu erkennen sind und unserem Trabanten sein charakteristisches Aussehen verleihen. Etwas kleinere Geschosse sorgten dann für die kraterübersäten Terrae-Gebiete, jene hellen Hochländer des Mondes. Das berühmt-berüchtigte große Bombardement ist glücklicherweise längst vorbei, doch auch heute noch wird der Mond genau wie unser Planet ständig von kosmischer Materie getroffen, meist relativ kleine Körper. Wenn am klaren Nachthimmel eine Sternschnuppe aufleuchtet, verglüht ein Staubkorn aus dem Weltraum. Nur von größeren Meteoren – Feuerbällen oder Boliden – bleibt nach dem heißen Sturz durch die Lufthülle noch Material übrig und geht als Meteorit nieder. Unsere Atmosphäre schützt uns zumindest vor kleineren Treffern wirksam. Und auch eisige Kometenbruchstücke werden von ihr meist völlig evaporiert; selbst viele Meter große Fragmente lösen sich so auf. Anderes Geröll aus dem All ist stabiler konstruiert und hält bis zum Erdboden durch. So durchschlagen ab und zu einzelne Meteorite tatsächlich auch Hausdächer, prallen auf Autos oder sogar Lebewesen. Auf dem Mond aber erreicht jedes noch so kleine Stäubchen ungebremst die Oberfläche. Denn nachweislich existiert hier keine Atmosphäre. Ebenso unbehelligt rasen auch größere Absplitterungen von Kometenmaterie auf den Mond herab, schmettern mit der Geschwindigkeit eines Projektils in den Boden und verwandeln ihre enorme Bewegungsenergie wahrhaft schlagartig in Hitze. So können sie auch in Abwesenheit einer Sauerstoff-Atmosphäre explosionsartig in einem Lichtblitz aufgehen.
Seit rund zweieinhalb Jahren überwachen NASA-Astronomen in einem automatisierten Beobachtungsprogramm den Mond, um genau solche Ereignisse zu registrieren. Der Erfolg stellte sich überraschend schnell ein. Rob Suggs vom Marshall Space Flight Center (MSFC) der NASA erinnert sich voller Begeisterung: »Wir entdeckten beinahe sofort einen Blitz. Ich werde diese erste Entdeckung nie vergessen«. Die Sichtung gelang am 7. November 2005, als ein nur fußballgroßes Bruchstück des Kometen Encke im Mare Imbrium niederging. Das Ereignis war im 10-Zoll-Newton-Teleskop des Teams sehr deutlich zu erkennen. Seit jenem Tag konnten die Astronomen nunmehr über hundert solcher Lichtblitze aufzeichnen. Und kaum jemand wird wohl seitdem noch riskieren, jene ersten Beobachter lunarer Flares als verrückt zu titulieren.
Die Einschlagsereignisse sind nicht gleichmäßig über das Jahr verteilt. Vor allem, wenn der Mond im Gefolge unserer Erde alljährlich durch bestimmte Bahnen kometarischer Meteorströme zieht, blitzt es immer wieder mal. Dann kann die Frequenz sogar auf einen Blitz pro Stunde ansteigen. Kaum zu glauben, aber wahr. Doch auch außerhalb dieser Zeiten verzeichnen die Astronomen immer wieder Treffer, so erklärt Projektleiter Bill Cooke. Denn immer noch schwirrt genügend »Kleinkram« zwischen den Planeten herum, um diese sporadischen Kollisionen auszulösen. Über das ganze Jahre verteilt, übertreffen diese vereinzelten Treffer die Zahl der von Meteorschauern ausgelösten sogar um das Zweifache. Cooke betont: »Das ist ein wichtiges Ergebnis. Denn es bedeutet, dass unser Mond zu keiner Zeit des Jahres völlig einschlagsfrei ist.«
Die Gruppe um Cooke begann ihre Arbeit zu der Zeit, als im US-Raumfahrtprogramm von einer Rückkehr zum Mond die Rede war. Astronauten sind zwar lediglich einer vernachlässigbaren Gefahr ausgesetzt, von einem Meteoriten auf dem Mond erschlagen zu werden, doch in Anbetracht der Pläne, größere Strukturen dort zu errichten, sprich: eine permanente Basis, besteht durchaus eine reale Bedrohung. Zudem ist noch nicht ausreichend geklärt, in welchem Umkreis sich Sekundärimpakte auswirken können. Wenn ein Kometenfragment den Mond mit extrem hoher Geschwindigkeit trifft, schleudert es Materie des Mondbodens radial nach außen. Unzählige kleinere Teilchen werden dabei ebenfalls mit sehr hohem Tempo in alle Himmelsrichtungen geschossen und kommen in unterschiedlichen Entfernungen auf. »Sekundär-Teilchen von weniger als einem Millimeter Durchmesser können dabei einen Raumanzug zerreißen«, warnt Cooke.
Um mehr über die Einschläge und ihre Begleiterscheinungen zu erfahren, simulieren die NASA-Forscher lunare Impaktereignisse mit der Hochgeschwindigkeitskanone des Ames Research Center / Vertical Gun Range in Mountain View, Kalifornien. Und um die Einschläge selbst möglichst effektiv beobachten zu können, stehen mittlerweile weitere Teleskope zur Verfügung. Bleibt anzumerken, dass wohl nicht alle Mondblitze die gleiche Entstehungsursache haben. Vergleicht man nämlich eine Karte der bisher registrierten, rund hundert Meteoritenimpakte mit einer Karte der legendären Transient Lunar Phenomena, zeigt sich kaum eine bemerkenswerte Übereinstimmung. Die TLPs, wie sie außerhalb des von Cooke und Kollegen betriebenen Automated Lunar and Meteor Observatory (ALaMO) beobachtet wurden, sind sogar wesentlich anders über die Mondoberfläche verteilt. Dies scheint auch für eine alternative Entstehungsursache zu sprechen, ebenso wie wiederholtes Auftreten von Lichtern im gleichen Mondkrater. Hier gibt es regelrechte Vorzugsregionen. Eine interessante, doch bis heute unerklärliche Beobachtung machte bereits vor vielen Jahren der russische Radioastronom Alexeji Arkhipov vom Tomsker Forschungsinstitut für Anomale Phänome (Research Institute on Anomalous Phenomena, RIAP). Er stellte fest, dass zu Zeiten der bemannten Mondlandungen des Apollo-Programms stets unmittelbar vor einer Landung eine deutlich erhöhte Zahl von TLPs gesichtet wurde. Zunächst scheint dies leicht erklärbar. Denn zweifellos richtete zu den so besonderen Terminen einfach eine größere Beobachterzahl – ob nun Profis oder Amateure – ihre Teleskope zum Mond. Doch die Fachastronomie sah im Allgemeinen überhaupt keinen Anlass zu weiteren Mondbeobachtungen, einmal ganz abgesehen von ohnehin fest verplanter Teleskopzeit, und die TLP-Sichtungen der Amateure betrafen interessanterweise völlig andere Mondregionen, keinesfalls das Umfeld der Apollo-Landeplätze. Damit fällt auch jene so schöne Erklärung flach.
Dr. Arkhipov stellt jedoch seinerseits fest, dass der Anstieg der TLP-Sichtungen oberhalb jeden statistischen Rauschens liegt, ihm also ein realer Effekt zugrunde liegen muss. Er selbst gelangt zu einer bemerkenswerten Schlussfolgerung und spricht vom »Invasions-Effekt«. Der Radioastronom hält zumindest für denkbar, dass eine nichtirdische Intelligenz auf dem Mond stationiert ist und die von ihr errichteten Strukturen durch künstliche Impaktereignisse kurzzeitig in Gas-Staub-Wolken hüllt, frei nach dem Prinzip, durch Auffälligkeit unauffällig zu werden. Allerdings stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit eines solchen Verfahrens und ob eine zu Interstellarflug fähige Zivilisation nicht zu anderen Methoden der Tarnung greifen würde. Ganz unbeachtet sollte jedoch das Thema nicht bleiben. Dr. Arkhipov befindet sich mit seinen Vermutungen jedenfalls in durchaus guter Gesellschaft, denn schon der berühmte, 1996 verstorbene SETI-Forscher Michael D. Papagiannis erklärte vor Jahren: »Wir würden für künftige Generationen eher dumm aussehen, suchten wir fortwährend bei fremden Sternen, während die Antwort direkt hier, in unserem Sonnensystem zu finden wäre.« Papagiannis relativiert somit Sinn und Nutzen der konventionellen SETI und verweist auf die Möglichkeit, dass eine Fremdintelligenz schon seit sehr langer Zeit beispielsweise im Asteroidengürtel stationiert sein könnte, ohne uns dabei aufzufallen. Sie könnte dort kilometergroße Stationen betreiben, die wir von natürlichen Kleinplaneten nicht unterscheiden könnten, so lange sie brav auf Keplerbahnen kreisten und ein typisches Reflexionsspektrum aufwiesen.
Wie auch immer die Realität aussehen mag, die neuen NASA-Beobachtungen belegen jedenfalls eindeutig: Auch die rätselhaften und lange umstrittenen Mondlichter sind reale Erscheinungen. Wieder einmal hat sich herausgestellt, dass frühere Beobachter weder halluziniert noch die Unwahrheit gesagt haben, als sie von ihren ungewöhnlichen Sichtungen berichteten und dafür meist nur Spott ernteten.