»Freihandelsabkommen« EU-USA: Bisher unbeachtet drohen auch für abhängig Beschäftigte, Rentner und Erwerbslose erhebliche Gefahren. Widerstand auch deshalb nötig
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, genannt Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), hat wenig mit freiem Handel zu tun. Zwischen EU und USA spielen Zölle so gut wie keine Rolle. Jetzt geht es um Investitionen, genauer gesagt um die Abschaffung von sogenannten Investitionshemmnissen.
Hintergrund ist die gegenseitige Kapitaldurchdringung zwischen Konzernen und Banken mit Standort in den USA und in Europa. Kein transkontinentaler Wirtschaftsraum ist so eng verknüpft – nicht nur hinsichtlich des Kapitals, sondern auch politisch, militärisch, geheimdienstlich, medial und kulturell. Diese Entwicklung wurde Anfang der 1990er Jahre intensiviert: Im deregulierenden Westeuropa und im zusammengebrochenen sozialistischen Lager gab es für angloamerikanische Investoren einiges zu holen. Zum Schnäppchenpreis.
Kapitalverflechtung
Das war ein Vorspiel. Seit Ende der 1990er Jahren kaufen US-Konzerne, Private Equity- und andere internationale Investoren verstärkt Anteile an europäischen Unternehmen und gründen Niederlassungen in der EU. Die Mehrheit der Aktien etwa der 30 größten Konzerne und Banken in Deutschland (DAX-Unternehmen) ist bekanntlich in ausländischem Eigentum, insbesondere bei Investoren mit Hauptsitz in den USA. Der Wall-Street-Investor Blackrock etwa ist in neun der 30 DAX-Unternehmen Hauptaktionär (siehe »Deutschland-AG aufgekauft«, jW vom 19. März 2013). Die Hauptberater der von 2009 bis 2013 amtierenden Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel in Sachen Finanzen und vor allem Euro-Krise waren in dieser Reihenfolge: Goldman Sachs (New York), Commerzbank, Barclays (London), UBS (Zürich) und Deutsche Bank.
Die Entwicklung verlief und verläuft auch gegenläufig. Die Deutsche Bank etwa kaufte sich in den USA den Bankers Trust und verlegte ihre Hauptaktivitäten nach London und New York. Pharma- und Automobilkonzerne mit Traditionssitz in der Bundesrepublik haben Produktionsstätten in den USA errichtet, vielfach in den Südstaaten, wo Gewerkschaften kaum mehr existent, die Löhne niedrig und die Zugeständnisse der um Arbeitsplätze ringenden Städte hoch sind.
In dieser Hinsicht sind mit den USA auch Kanada und Mexiko eng verbunden. Zwischen den drei Staaten trat zum 1.1.1994 das North Atlantic Free Trade Agreement (NAFTA) in Kraft. Es gilt als Vorläufer des geplanten TTIP. Auch mit NAFTA wurden nicht nur mehr Handel versprochen, sondern auch mehr Arbeitsplätze. Allerdings, so die Bilanz: Der Handel verdreifachte sich, Arbeitsplätze gingen verloren. Mexiko wurde zur verlängerten Werkbank für ausländische Konzerne: In den »Maquiladoras« werden vor allem Textilien und Elektrogeräte aus importierten Vorprodukten hergestellt. Die hochsubventionierten Nahrungsmittel aus den USA und der EU führten zum Ruin der für Mexiko bis dahin vorherrschenden klein- und mittelbäuerlichen Agrarwirtschaft. Wegen der auch in Südkanada niedrigeren Löhne wurde ein Teil der Autozulieferindustrie dorthin verlagert: Maquiladoras auf höherem Niveau.
Abbau und Deregulierung
In Mexiko wie in den USA gingen Hunderttausende Arbeitsplätze verloren. Ohne daß dies ausdrücklich als Ziel beschlossen wurde, wurden auch die Arbeitsverhältnisse dereguliert, die Löhne auf ein noch niedrigeres Niveau als 1994 gedrückt. Mexiko und Kanada wurden für Im- und Exporte weitgehend von den USA abhängig.
In den USA wie in der EU werden Arbeitsrechte erheblich eingeschränkt. Was würde passieren, wenn diese beiden Vertragspartner ihre Praktiken sogar noch miteinander harmonisierten? In der bisherigen Kritik gegen TTIP werden die Gefahren für Umwelt und Nahrungsmittel (Genmais, Chlorhühnchen) betont, ebenso die Macht der privaten Schiedsgerichte. Selbst die Gewerkschaften haben bisher noch nicht klar genug auf die Gefahren für die Lohnabhängigen und für die vom Lohnsystem abhängigen Rentner und Arbeitslosen aufmerksam gemacht.
Man stelle sich folgendes vor: Im TTIP vereinbart die EU mit den USA die Klagerechte der Investoren vor privaten Schiedsgerichten. Dann beschließt der Bundestag nach großem Getöse endlich den angekündigten Mindestlohn von 8,50 Euro. Und schon können Investoren den Mindestlohn wegklagen, weil er ihre Profite in den deutschen Niederlassungen oder geplanten Großprojekten einschränke.
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